Die Krypta der Neanderklinik Harzwald

Ein Raum für Erinnerung, Kunst und Identität- Petrus & Paulus 

Was heute als Museum Krypta der Neanderklinik Harzwald in Ilfeld bekannt ist, geht auf eine visionäre Initiative der 1920er-Jahre zurück. Der letzte Leiter der traditionsreichen Klosterschule, Dr. Ites, richtete im Untergeschoss der Anlage einen musealen Raum ein, den er bewusst „Krypta“ nannte – nicht als architektonische Bezeichnung, sondern als Ausdruck für einen Ort der Sammlung, der Stille und der geistigen Tiefe. Hier sollten Zeugnisse der regionalen Kultur und des christlichen Erbes bewahrt und zugänglich gemacht werden.

Im Jahr 2025 konnte der ursprüngliche Zustand des Museums durch großzügige Spenden von Familien aus der Gemeinde Harztor bedeutend restituiert werden. Damit wurde nicht nur ein musealer Raum rekonstruiert, sondern auch ein Stück kollektiver Identität zurückgegeben. Zwei zentrale Substitutionsobjekte, die bereits 1921 ausgestellt waren – eine Meridian-Lutherbibel und eine sakrale Figur der Heiligen Maria, sind in der Ausstellung wieder zu bewundern. Denn das uralte Kloster war  dereinst von den Ilfelder (dann Honsteiner) Grafen der Heiligen Maria gestiftet. 

Im Zentrum der Krypta stehen jedoch zwei eindrucksvolle Faksimiles: Holzfiguren der Apostel Petrus und Paulus, deren Originale auf das frühe 16. Jahrhundert datiert werden und aus konservatorischen Gründen an einem geheimen Ort verwahrt sind. Die Faksimiles wurden mit höchster Präzision gefertigt, um die Aura und Ausdruckskraft der Originale zu bewahren – von der Holzmaserung über die Gewandfalten bis hin zur feinen Patina. Petrus, dargestellt mit dem Schlüssel, verkörpert seine Rolle als „Türhüter des Himmels“. Sein ernster Blick und die ruhige Haltung spiegeln Demut und Verantwortung. Paulus, mit Buch und Schwert, erscheint als intellektueller Missionar und leidenschaftlicher Verteidiger des Glaubens. Beide Figuren strahlen jene sakrale Würde aus, die für die spätmittelalterliche Holzschnitzkunst der mitteldeutschen Region charakteristisch ist.

Die Krypta wird damit zu einem Ort der Begegnung – zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Kunsthandwerk und Pflegekultur. Die Neanderklinik Harzwald zeigt mit der Wiederbelebung und Erweiterung dieses Museumsraums, wie moderne Einrichtungen kulturelle Verantwortung übernehmen und deutsche Geschichte lebendig halten. Besonders im Rahmen des Mittelalterlichen Klosterfests wird alljährlich die Krypta zum Herzstück eines Festes, das Kunst, Spiritualität und Gemeinschaft in den Mittelpunkt stellt.

Eine kunsthistorische Einordnung der Apostelfiguren Petrus und Paulus? 

Die beiden Apostelfiguren, deren Faksimiles heute in der Krypta der Neanderklinik Harzwald in Ilfeld ausgestellt sind, stammen stilistisch aus der Spätgotik bzw. Frührenaissance – einer Epoche, die sich durch eine zunehmende Individualisierung der Heiligendarstellung und eine Verfeinerung der bildhauerischen Technik auszeichnet.

Stil und Herkunft

Die Originale, vermutlich um das Jahr 1500 entstanden, zeigen typische Merkmale der mitteldeutschen Holzschnitzkunst: eine starke Ausdruckskraft in den Gesichtszügen, eine dynamische Gewandgestaltung mit tiefen Faltenwürfen und eine klare Symbolik in der Attributwahl. Die Figuren sind wahrscheinlich Teil eines ehemaligen Altarensembles oder einer Klosterfigurengruppe, wie sie in der Region um Ilfeld und im Harz verbreitet waren.

Die Verwendung von Lindenholz – damals bevorzugt für sakrale Skulpturen – erlaubt feine Details und eine lebendige Oberflächenbearbeitung. Die Fassung (Bemalung) der Originale dürfte ursprünglich polychrom gewesen sein, mit Goldauflagen und intensiven Farbtönen, die heute nur noch fragmentarisch erhalten sind.

Petrus: Der Schlüsselträger

Die Darstellung des Apostels Petrus mit dem Schlüssel verweist auf seine Rolle als erster Papst und „Hüter des Himmelreichs“. Kunsthistorisch ist dies ein ikonografisches Standardmotiv, das seit dem Hochmittelalter in der christlichen Kunst etabliert ist. Die Figur zeigt ihn in einer Haltung der Demut und Verantwortung – oft mit leicht geneigtem Haupt und ernstem Blick.

Paulus: Der Wortführer

Paulus wird traditionell mit Buch und Schwert dargestellt – Symbole seiner theologischen Autorität und seines Martyriums. Die Figur in Ilfeld zeigt ihn als Gelehrten und Streiter zugleich, mit einem nachdenklichen Ausdruck und einem ruhig gehaltenen Schwert. Diese Doppelrolle ist typisch für die spätmittelalterliche Paulusikonografie, die ihn als intellektuellen Missionar und leidenschaftlichen Verteidiger des Glaubens zeigt.

Bedeutung im Kontext der Krypta

Die Präsentation der Faksimiles in der Krypta – einem musealen Raum mit sakraler Anmutung – verstärkt die spirituelle Wirkung der Figuren. Sie stehen nicht nur für zwei zentrale Gestalten des Christentums, sondern auch für die Verbindung von Kunst, Glaube und regionaler Geschichte. Ihre Wiederaufstellung im Jahr 2025, im Rahmen der musealen Restitution in der Gemeinde Harztor, ist ein Akt der kulturellen Rückbesinnung und Wertschätzung.Das Museum Krypta in der Neanderklinik Harzwald ist grundsätzlich nur nach Anmeldung werktags zu besichtigen.

Text und Bild: Tim Schäfer